Frankfurter Rundschau | 03. November 2025 | Magazin – Politik
Die nördlichste Mine Europas bedroht nicht nur den Lebensraum der wilden Rentiere und Lachse, sondern auch die traditionelle Lebensweise der indigenen Sámi. Um Natur und Tradition zu wahren, haben sie sich mit der Umweltschutzbewegung verbündet.
Autos rasen durch die eisige Kälte der arktischen Nacht, ihre Scheinwerfer durchdringen die dunklen Birkenwälder. Vor ihnen erhebt sich ein Berg, der von einem Kupferbergwerk durchzogen ist. Zum Glück ist der Wachmann nicht im Dienst: Schatten steigen aus den Autos, brechen das Tor auf und stürmen hindurch. Sie parken ein altes, in den Farben der Sámi-Flagge gestrichenes Wohnmobil am Eingang des Bergwerks und ketten sich daran fest. Es ist vier Uhr morgens an diesem kalten Tag Ende September, und die Maschinen des Bergbauunternehmens Nussir ASA werden von einem Dutzend Umweltaktivistinnen und -aktivisten blockiert. Die Polizei der nächstgelegenen Stadt Hammerfest (50 km entfernt) wird Stunden brauchen, um hierherzukommen: Am norwegischen Polarkreis, zwei Stunden vom Nordkap entfernt, sind die Entfernungen riesig.
„Wir sind hier, um Nussir ASA daran zu hindern, ihre Bohrungen durchzuführen. Sie haben nicht damit gerechnet, dass wir kommen, und unser Ziel ist es, so lange wie möglich hier zu bleiben. Jede verlorene Stunde bedeutet für sie einen wirtschaftlichen Verlust“, erklärt Sunniva Jacob Svenkerud, eine 19-jährige Aktivistin, die für diese Aktion zivilen Ungehorsams extra aus Südnorwegen angereist ist. „Wir haben nur einen Planeten, nur einen Repparfjord, und wir hoffen, sie zu bewahren“, sagt auch die 20-jährige Mirijam Goepel, die mit dicken Stahlketten an ihre Kameradin gefesselt ist.
Zwei Stunden später geht langsam die Sonne über dem Repparfjord auf. Diese Mündung ist ein Schutzgebiet für Wildlachse und Nussir ASA plant, in den nächsten zwanzig Jahren darin 30 Millionen Tonnen Abfall und Mineralien aus dem Kupferabbau zu entsorgen. Das Unternehmen hat den Namen des Berges angenommen, in dem es bohren will: Nussir – ein Ort, der von einigen Sámi-Hirten als heilig angesehen wird und für die Wanderung der Rentierherden wichtig ist. Das indigene Volk der Sámi mit 100 000 bis 130 000 Menschen lebt in Norwegen, Finnland, Russland und Schweden in diesem arktischen Gebiet – dem Sápmi –, wo es seit mehr als elf Jahrtausenden Fischerei und Viehzucht betreibt. Nach Jahrhunderten der erzwungenen Assimilation durch die Kirche müssen sie nun um den Erhalt ihrer Lebensweise und ihres angestammten Landes kämpfen.

„Es ist völlig absurd, dass Sámi-Viehzüchter und Aktivisten bestraft werden, weil sie die Einhaltung der Gesetze fordern, während Bergbauunternehmen, die unser Land zerstören und unsere Fjorde in Mülldeponien verwandeln, ungestraft davonkommen“, empört sich Mathilde Ballari, eine 26-jährige Sámi-Aktivistin, die in traditioneller Tracht gekommen ist, um gegen das Bergbauprojekt zu protestieren. Denn in der Finnmark gehört das Land den Einwohner:innen und den Sámi – jedes Unternehmen muss sich mit ihnen einigen, bevor es neue Projekte starten kann. Doch auf Nachfrage versichern die Einwohner:innen und Viehzüchter:innen des Repparfjords, nie konsultiert worden zu sein. Stattdessen gingen sie mehrfach vor Gericht.
Nach einer ersten Förderung in den 1970er Jahren entstand 2005 ein neues Projekt, das damals schon von Nussir ASA getragen wurde. Mehr als zwanzig Jahren dauert diese Geschichte nun schon, zwischen Rückzug von Investoren, Unterbrechungen und Wiederaufnahme der Arbeiten. Seit Juni scheinen Nussir ASA und die neuen kanadisch-amerikanischen Investoren Blue Moon Metals entschlossen, das Projekt durch die Wiederaufnahme der Arbeiten zum Abschluss zu bringen. Auf Anfragen der Frankfurter Rundschau haben sich die Unternehmen jedoch nicht dazu geäußert.
Es ist 16 Uhr, die Sonne steht hoch am Himmel, als die norwegische Polizei am Ort des Geschehens eintrifft. Nachdem sie die Personalien aller anwesenden Aktivistinnen und Aktivisten aufgenommen hat, fahren die Beamten eine Plattform auf einem Bagger heran und beginnen, die Ketten mit einer Gartenschere durchzuschneiden. „Lasst die Fjorde leben!“, rufen die jungen Leute auf dem Weg zum Polizeitransporter. Sie werden alle mit einer Geldstrafe von 20 000 bis 26 000 norwegischen Kronen (etwa 1700-2200 Euro) belegt. Für diese jungen Menschen sind das erhebliche Summen.
Erschöpft, aber glücklich, so lange durchgehalten zu haben, kehren sie zu ihrem Lager zurück, das nur wenige Minuten entfernt liegt. Auf dem Grundstück eines Anwohners, der gegen den Bergbau ist, haben sie Lavvó errichtet, traditionelle runde Zelte der Sámi aus Rentierleder. Das Lager wird von einer Allianz aus Sámi und norwegischen Umweltschützer:innen organisiert, von denen die meisten Mitglieder von Natur og Ungdum („Natur und Jugend“) sind, dem Jugendzweig einer norwegischen Umweltorganisation. Beim Lagerfeuer gibt es aus dem Fjord geangelte Forellen, man entspannt, lacht und denkt über die Welt nach.
In einem Wohnmobil mit der Aufschrift „Rettet die Fjorde“ beantwortet Ingrid Eline Barrabes Gorrissen, eine 22-jährige samische Aktivistin, die Fragen einer amerikanischen Anthropologin, die gekommen ist, um die Umweltkämpfe der Sámi zu studieren. „Ich bin eine Sea-Sámi (eine Wassersami), mein Vater und ich fischen weiter südlich, in der Region der Lule-Sámi. Aber aufgrund der Auswirkungen der globalen Erwärmung wird es immer schwieriger, Fische zu fangen oder Muscheln zu sammeln – und der Fjord, an dem meine Großmutter aufgewachsen ist, wurde bereits durch ähnliche Einleitungen von Bergbauabfällen vergiftet“, erklärt sie. „Deshalb ist es für mich lebenswichtig, diesen Fjord und diesen Berg zu verteidigen: Es tut mir körperlich weh, wenn ich die Explosionen der Bohrungen höre, als würde man meine eigenen Knochen zermalmen.“
Wie viele Sámi entdeckt Ingrid ihre Kultur wieder, die in ihrer Familie aufgrund der Zwangsassimilation in Norwegen jahrzehntelang verschwiegen wurde. „Ich beschäftige mich wieder mit der traditionellen Näharbeit, der Sprache der Lule-Sami und dem Fischfang: Diese Verbindung zu unseren Traditionen und zur Natur ist wie eine Wiedergeburt, die ich angesichts des Greenwashings und des grünen Kolonialismus Norwegens, die unsere Lebensweise bedrohen, mit aller Kraft verteidigen möchte“, betont die junge Studentin.
Langfristige Folgen für das Meeresleben
Das gilt auch für andere Menschen der Region, von denen viele gegen den Bergbau sind. Der Repparfjord ist einer der zehn wichtigsten Fjorde Norwegens für die Fortpflanzung von Wildlachsen – und einer der beliebtesten Orte für Hobbyangler:innen aus ganz Europa. „Jeder hier lebt direkt oder indirekt vom Fischfang. Doch die Branche erholt sich gerade erst von der Verschmutzung in den 70er Jahren: Damals waren die Fische gestorben oder verschwunden, und die Fischerei war zusammengebrochen“, empört sich Yngve Nilsen, ein 46-jähriger Fischer, der einen Ausrüstungsladen betreibt und sich seit zwanzig Jahren gegen das Projekt engagiert. „Das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, wird durch den Bergbau zerstört werden. Wenn dieses Projekt erfolgreich ist, habe ich keinen Grund mehr, hier zu leben“, sagt er leise.

Diese Befürchtungen werden vom norwegischen Meeresforschungsinstitut bestätigt, das auf die Gefahren für das Ökosystem des Fjords hinweist, darunter die Fortpflanzung von Forellen, Lachsen, Kabeljau und Muscheln. Grund dafür sind die Verschmutzung durch Schwermetalle – Kupfer, Nickel, Chrom – und eine Übersättigung mit mineralischen Feinstaubpartikeln. „Das Unternehmen plant, zehnmal mehr Abfälle pro Jahr zu entsorgen als in den 1970er Jahren, aber wir haben keine ausreichend genauen Modelle, um den Schaden genau zu quantifizieren“, erklärt Terje van der Meeren, Autor mehrerer Berichte für das Institut. „Die Deponie wird jegliches Leben auf mehreren Quadratkilometern am Grund des Fjords auslöschen“, fügt er hinzu und betont, dass die Feinstaubpartikel durch die Strömungen dieses flachen Fjords kilometerweit transportiert werden können – und somit das Meeresleben weit darüber hinaus beeinträchtigen. „Es könnte mehrere Jahrhunderte dauern, bis Sedimente den Abfall bedecken und sich der Fjord wieder normalisiert hat“, sagt er besorgt.
Norwegen ist eines der wenigen Länder weltweit, das noch die Entsorgung von Bergbau- und Industrieabfällen in Fjorden erlaubt. Denn Metalle wie Kupfer sind sowohl für die Energiewende und ihre Batterien als auch für die Rüstungsindustrie der NATO angesichts der Aufrüstung gegen Russland begehrt. In der norwegischen Sápmi steigt die Zahl der Energieprojekte tatsächlich rasant. Der Streit um den Repparfjord reiht sich in eine lange Liste von Kämpfen um Umwelt und indigenes Land ein. Auf der touristischen Halbinsel Fosen beispielsweise wurden 151 Windräder und 130 Kilometer Straßen für einen Windpark gebaut, was zu heftigem Widerstand der Sámi führte, deren Land enteignet worden war. Trotz einer Entscheidung des norwegischen Obersten Gerichtshofs, der ihre Rechte im Jahr 2021 bestätigte, hat sich nichts geändert. Die Kämpfe gehen auf die „Alta-Kontroverse“ der 1970er Jahre zurück, bei der ein Wasserkraftwerksprojekt zu massiven Aktionen zivilen Ungehorsams und Sabotageakten führte – ohne Erfolg, denn der Bau des Staudamms wurde 1982 unter hohem Polizeischutz abgeschlossen.
Die Nachwirkungen dieser Kämpfe sind im „Rentierzuchtgebiet 14a“ in der Nähe von Lakselv, in der nord-samischen Sprache auch Spiertagavisa genannt, noch immer zu spüren. Vor einem schneebedeckten Berg fällt ein leichter Regen auf die Tundra, wo Dutzende Familien ihre Rentierherden in Holzzäunen zusammengetrieben haben. Die Kälte ist beißend, die Hirtinnen und Hirten tragen dicke traditionelle Mäntel und Messer am Gürtel. In einem faszinierenden Ballett laufen die Rentiere im Kreis, die Weibchen suchen ihre Kinder. Normalerweise können sie sich frei bewegen, heute sind sie jedoch für einen entscheidenden Moment versammelt: die Markierung, die es den Hirten ermöglicht, ihre Herden wiederzufinden und zu verfolgen, indem sie mit einem Messer einen Einschnitt in das Ohr machen. Gemäß den von der norwegischen Regierung festgelegten Quoten wird auch eine bestimmte Anzahl von Männchen für Fleisch, Fell und Geweih getötet – genug, um den Familien das Überleben zu sichern und den Handel zu versorgen.
Die Sámi haben das Gefühl, austauschbar zu sein
Doch in diesem Jahr herrscht Sorge inmitten dieses Moments des Wiedersehens und der Zusammenkunft, der einen jahrtausendealten Zyklus fortsetzt. „Aufklärungsflugzeuge eines amerikanischen Bergbauunternehmens sind gekommen, um die Ressourcen des Tals zu kartografieren. Es soll Lithium geben … aber auch Pläne für Stromkabel oder sogar Windkraftanlagen, die durch unser Land verlaufen würden“, warnt Sara, eine samische Übersetzerin und Rentierzüchterin aus Karajok, dem Sitz des samischen Parlaments in Norwegen, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. „Und weiter unten, in der Nähe des Fjords, soll eine Militärkaserne auf das Doppelte ihrer Größe erweitert werden, um die Abschreckung gegenüber Russland zu verstärken, mitten auf dem Weg der Weidetiere – wir haben Angst, dass es zu Schießunfällen mit unseren Rentieren kommen könnte“, sagt sie. Wie schon im Zweiten Weltkrieg befürchten die Sámi, damit an vorderster Front der Auseinandersetzungen zu sein. 1942 hatte die Wehrmacht auf ihrem Rückzug aus Russland eine Politik der verbrannten Erde betrieben und alle Ortschaften der Finnmark in Schutt und Asche gelegt – dieses Kapitel der Geschichte ist weniger bekannt als die Schlacht um Narvik, hat aber unauslöschliche Spuren im kollektiven Gedächtnis der Bewohner:innen des Nordens hinterlassen.
Die Sámi haben das Gefühl, eine austauschbare Bevölkerungsgruppe zu sein. „Wir sind viel Rassismus ausgesetzt, die Leute sagen, wir seien gegen die Moderne, wir lehnten alle Projekte pauschal ab – aber das stimmt nicht, wir möchten nur mitreden können“, seufzt Sara. Denn all die Infrastruktur habe reale Auswirkungen auf die Wanderung der Rentiere, die viel Platz benötigen, meint die Züchterin. „Rentiere reagieren sehr empfindlich auf Geräusche und Ablenkungen, sie sind sehr ängstlich. Wenn man sie aus den Ebenen vertreibt und dann auch noch Windräder auf den Gipfeln baut, gibt es keinen geeigneten Ort mehr für sie.“ Gegen diese geostrategischen Entscheidungen versuchen die Sámi und Umweltschützer:innen, das Überleben von Kultur und Natur zu sichern.